Bei „Familienfreundliche Arbeitgeber“ erzählen wir dir keine Geschichten. Wir sprechen mit echten Menschen über ihre Erfahrungen. Heute im Interview: Michael Schlüpmann von Hensoldt.

Erfahre mehr über die Inklusion, Diversity und Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Hensoldt in unserem Interview mit Head of People and Organizational Development und Vater Michi Schlüpmann. Wie er seine Trennung gemeistert und sie als Chance genutzt hat und welches Potenzial er als Führungskraft in Elternkompetenzen sieht. Familienfreundliche Jobs von Hensoldt findest du hier

1. Lieber Michi, du bist Head of People and Organizational Development bei Hensoldt und getrennt-erziehender Vater, seitdem dein Sohn vier Jahre alt ist. Wie bist du mit der neuen Situation umgegangen?

Ich hatte immer das Glück, in einem Arbeitsumfeld zu sein, wo mir auch in schwierigen Lebensphasen unter die Arme gegriffen wurde. Wichtig ist mir hier vor allem zu betonen, dass ich mich nicht als belasteter Alleinerziehender darstellen möchte. Das bin ich nicht. Ich lebe in einer tollen Gemeinde, die viel für Familien tut, verstehe mich super mit meiner Ex-Partnerin und kann auf externe Unterstützungsangebote zurückgreifen. Ich bin extrem privilegiert und bin mir dessen bewusst. Trotzdem ist jede Trennung eine emotionale Achterbahnfahrt und Vereinbarkeit bei einem Wechselmodell eine organisatorische Herausforderung. Das war auch bei mir so.

Was ich aber auf jeden Fall möchte, ist Vätern Mut zu machen, die jetzt in einer ähnlichen Situation sind. Sich zu trennen, kann auch eine Chance sein.

2. Was waren deine Key-Learnings durch die Trennung?

Ich bin viel fokussierter geworden, ich weiß jetzt, was ich will und was nicht. Ich verschwende keine Zeit mehr für Dinge, die eigentlich unwichtig sind. Ehrlich gesagt – wenn ich es vergleiche – geht es mir jetzt besser. Und das ist auch meine Message: eine Trennung ist rückblickend betrachtet kein Weltuntergang, auch wenn es sich erstmal lange so anfühlt. Du hast die Chance, dich besser kennenzulernen.

3. Ich hatte erst kürzlich einen Workshop, in dem ein Vater sehr mit seiner neuen Lebenssituation gehadert hat. Expartnerin und Kinder leben am anderen Ende von Deutschland. Er pendelt permanent zwischen den Welten.

Das klingt wirklich heftig – emotional, aber auch logistisch. Gerade die Distanz zu den Kindern macht eine solche Trennung besonders schmerzhaft und herausfordernd. Bei Worst-Case-Szenarien müssen Unternehmen schauen, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf trotzdem weiterhin gewährleistet sein kann und individuell unterstützen. Sonst wirken sich private Krisen langfristig auf die mentale Gesundheit und die Produktivität des Mitarbeitenden aus. Ich plädiere dafür, da auch offen im Unternehmen drüber zu sprechen und sich andere Väter zu suchen, die das Gleiche durchgemacht haben. Das hat mir persönlich enorm geholfen, mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht allein zu sein. Um so etwas Enormes bewältigen zu können, muss man drüber reden.

Aber natürlich kommen auch Arbeitgeber an ihre Grenzen. Zum Beispiel, wenn die Kinder der beschäftigten Väter im Ausland leben und man ihnen räumlich und zeitlich außerhalb Deutschlands mehr Flexibilität geben möchte. Unternehmen stoßen hier rechtlich und steuerlich leider noch auf Hürden.

4. Dein Sohn ist mittlerweile 12 Jahre alt. Mit welchen Herausforderungen habt ihr aktuell als getrennt-erziehende Eltern zu tun?

Im Moment kämpfen wir sehr mit dem Schulalltag. Ab einem gewissen Alter lassen sich Kinder nicht mehr so leicht motivieren. Zumindest ist das bei uns so. Die haben dann keinen Bock, sind extrem gestresst. Ich glaube schon, dass es von Vorteil ist, wenn beide Elternteile am gleichen Strang ziehen und auch physisch anwesend sein können, um die Kinder zu unterstützen. Es ist schön, dass das bei uns gut funktioniert. Aber ich kenne auch viele Geschichten, wo es das nicht tut. Und dass ist dann einfach sehr belastend für alle Beteiligten. Natürlich wirken sich solche Rosenkriege auch auf den Berufskontext aus – gerade, wenn lange keine Ruhe in das Familienmodell kommt.

5. Ihr arbeitet mit mycollective, und auch mit uns (familienfreundliche Arbeitgeber, momjobs und dadjobs) daran, dass Mitarbeitende gut durch jede Erziehungsphase kommen.

Ja, gemeinsam mit mycollective bieten wir Elternzeitcoachings an. Zum einen für Führungskräfte, damit sie lernen, wie man so einen Elternzeitprozess überhaupt erfolgreich managt und begleitet. Zum anderen aber auch für die zukünftigen Eltern selbst. Welche Hilfen kannst du dir wo holen, wie willst du mit deinem Partner umgehen, was sind Erfolgsfaktoren beim Wiedereinstieg oder generell bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, worauf musst du achten? Davon versprechen wir uns als Unternehmen, dass Mitarbeitende von uns mit durch diese neue Lebensphase getragen werden und am Ende gestärkt zurück zu Hensoldt kommen.

Mit familienfreundliche Arbeitgeber haben wir zwei Halbtagesworkshops gemacht, um für uns einfach mal herauszufinden, wie wir den Familienbegriff definieren wollen und wo es noch Optimierungsbedarf gibt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere familienfreundlichen Angebote noch viel zu wenig nach innen und außen kommuniziert werden. Das versuchen wir über euch noch klarer zu transportieren.

So schaffen wir kontinuierlich ein ständig wachsendes Ökosystem für unsere Mitarbeitenden, das alle Bereiche des Lebens – auch die Elternschaft – abdeckt. Nicht zuletzt, damit wir als Arbeitgeber attraktiv bleiben und die Leute halten können.

6. Michi, du hattest erwähnt, dass deine Gemeinde extrem viel für junge Familien tut? Erzähl doch mal.

Meine Gemeinde ist der Wahnsinn. Über die Nachbarschaftshilfe gibt es ein Nanny- beziehungsweise Leihoma-Netzwerk, das super hilfreich ist. Nach der Trennung habe ich das viel genutzt. Die Leihoma hat meinen Sohn oft abgeholt und sich dann einfach mit ihm Zuhause hingesetzt und ein bisschen gespielt bis ich von der Arbeit zurück war. Das war Gold wert. Und auch wenn es in den Kitas wieder Betreuungsplatzmangel gibt, wird eben eine neue gebaut. Das finde ich total geil. Nebenbei haben wir auch noch die besten Schulen in Bayern. Das ist aber nur möglich, weil die Gemeinde aufgrund der vielen großen Firmen drumherum hohe Einnahmen hat, die gut investiert werden. Wenn du dich in so einer Blase bewegst, wird dir aber auch klar, wie verloren du bist, wenn Gemeinden und Städte solche Unterstützungsmaßnahmen nicht anbieten und jungen Eltern vielleicht sogar noch Steine in den Weg legen. Das wirkt sich auf der anderen Seite doch auch wieder negativ auf die Wirtschaft aus. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sollten wir doch alles tun, um zu ermöglichen, dass Eltern arbeiten gehen können. In Beziehungen geht es oft nur noch darum, wer das höhere Gehalt hat und wer – aufgrund schlechter Rahmenbedingungen bei der Kinderbetreuung – seine Karriere aufgibt oder für einige Zeit auf Eis legt. Das finde ich wirklich bitter.

7. Glaubst du, dass konservative Unternehmensstrukturen oder auch veraltete Rollenbilder bei einem Arbeitgeber toxisch für gesunde Beziehungen Zuhause sind?

Das kann schon sein. Als Vater musste ich mir ehrlich gesagt nicht so wahnsinnig oft dumme Sprüche anhören. Ich glaube einfach, dass Transparenz wichtig ist. Dass auch das berufliche Umfeld weiß, mit welchen privaten Dingen ich mich gerade herumschlage. Es ist super wichtig, den Leuten zu erklären, warum du bestimmte Verhaltensweisen zeigst. Häufig sind es einfach unterschwellige Erwartungshaltungen oder auch Sätze wie „Du bist ja schon wieder weg.“, „Ich seh dich ja nie.“ etc. Diesen Quatsch hört gefühlt jeder, der flexibel arbeitet. Ich glaube aber nicht, dass das böse Absicht ist. Sondern Unwissenheit. Damit bin ich immer offen umgegangen und hab gesagt: „Du – so ein Spruch tut mir gerade nicht gut. Ich gehe nicht früher, weil ich hier nicht sein WILL, sondern weil ich hier gerade nicht sein KANN. Das heißt nicht, dass ich nicht bereit bin, mich zu engagieren.“ Die meisten erschrecken dann, wenn man ihnen so ein Feedback gibt. Das Problem ist nur, je öfter man solche Aussagen von Kollegen oder Vorgesetzten hört, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich das eigene Selbstbild negativ verändert. Deshalb würde ich gerade Frauen empfehlen, damit immer sachlich umzugehen, präzise zu antworten und klarzumachen, dass solche Seitenhiebe nicht schön sind zu hören. Denn eigentlich ist das ja schon fast übergriffig.

Früher war das noch krasser. Als es damals in meiner Beziehung kriselte, wir uns letztlich getrennt haben und ich unseren Sohn abwechselnd die ganze Woche bei mir hatte, war mein Chef immer eingeweiht. Weil er aber auch ein Typ war, der verstanden hat, dass es im Job um Ergebnisse geht. Ich weiß nicht, ob er mich auch im Hintergrund verteidigt hat, aber ich hatte immer das Gefühl von Sicherheit. Dass ich mit meinen Themen nicht auf Widerstad stoße. Da ist gute Führung natürlich essentiell. Was da für Werte vorgelebt werden. Ich sehe schon – gerade bei älteren männlichen Führungskräften – dass die fast schon ein bisschen traurig sind, dass sie selbst so wenig Zeit mit ihren Kinder hatten. Gerade die versuchen Vereinbarkeit im Team und im Unternehmen dann auch zu fördern. Da ist das Encouragement enorm und die sagen dann auch: „Geh zur Schulveranstaltung oder wo auch immer du von deinen Kindern gebraucht wirst.“ Weil sie sich eben bewusst sind, dass es langfristig zu einer Produktivitätssteigerung und Mitarbeiterbindung kommt.

8. Der Spillover-Effekt besagt, dass Skills, die wir im privaten Umfeld erlernen – durch Elternschaft, Pflege oder ein Ehrenamt – sich positiv auf den beruflichen Kontext übertragen lassen. Wie siehst du das? Macht einen die Elternschaft zu einem besseren Mitarbeitenden?

Als Führungskraft sehe ich ganz viel Potenzial in der Bewältigung komplexer Herausfoderungen im privaten Umfeld. Wir entwickeln uns dort als Mensch weiter und können diese neuen Fähigkeiten dann auch im Job einsetzen. Ich denke da an bessere Organisation, Kommunikation, Resilienz, Ausdauer, Geduld oder Flexibilität im Kopf. Gerade Frauen möchten wir ermutigen, diese Elternkompetenzen im Unternehmen noch mehr nach außen zu tragen und mit ihnen für sich selbst zu „werben“. Wir möchten dahinkommen, dass unsere Führungskräfte sich beispielweise bei einer Mutter, die in Teilzeit zurückkommt, Gedanken machen, wo wir als Unternehmen diese neu erworbenen Skills aus der Elternzeit besonders gut nutzbar machen können. Nicht im Sinne von: Mitarbeiter ist weg – fire and forget. Sondern, hey, das was unsere Leute da außerhalb der Arbeit lernen ist so wertvoll, das Potenzial wollen wir eigentlich unbedingt haben. Das fand ich eben bei mir auch schön, dass ich nie als defizitär wahrgenommen wurde, nur weil ich irgendwie einen anderen Lifestyle hatte. Auf der anderen Seite habe ich als Unternehmen natürlich auch immer Einbußen, kann jemanden der in Teilzeit arbeitet halt nicht 9to5 ansprechen, gemeinsam an Projekten arbeiten und für Meetings einteilen. Das ist für Viele schon auch eine enorme Umstellung.

9. Mit dem Begriff Familienfreundlichkeit hast du so deine Probleme. Woher kommt das?

Der Oberbegriff ist für mich Inklusion insgesamt. Vollkommen Wurscht, wer die Person ist und in welcher Lebensphase sie sich befindet. Familienfreundlichkeit ist natürlich ein Teilaspekt von Inklusion. Denn die Frage ist – und das haben wir ja auch mit euch zusammen erarbeitet: Was ist überhaupt Familie und in dem Zuge haben wir uns natürlich damit auseinandergesetzt, was Familienfreundlichkeit bei Hensoldt konkret bedeutet. Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Wie kann es uns gelingen, so inklusiv wie möglich zu sein und trotzdem spezifische Zielgruppen wie eben Mütter, Väter und Pflegende anzusprechen. Wir möchten natürlich niemanden vor den Kopf stoßen, der womöglich keine Kinder bekommen kann oder möchte. Ich empfinde das Jonglieren mit dem Begriff Familienfreundlichkeit daher als große Herausforderung. Persönlich bin ich aber der Meinung, für Unternehmen sollte eine Zero Tolerance Policy bei Familienfreundlichkeit gelten. Wir können es uns doch gar nicht mehr erlauben, Arbeitskräfte auszugrenzen – aus welchem Grund auch immer. Das hat einfach Konsequenzen. Da gibt es für mich keine Laissez-faire Politik, so nach dem Motto, in der einen Abteilung ist es familienfreundlicher als in der anderen. Diversität und lebensphasenorientiertes Arbeiten sind in unserer ESG-Policy und in den Leadership Principles verankert. Firmen müssen sich bewusst sein, dass gelungene Inklusion im Unternehmen letztlich bares Geld ist. Wenn Leute keine Lust mehr haben, bei uns zu arbeiten, dann kostet uns das. Inklusion und Familienfreundlichkeit sind klare Wettbewerbsvorteile.