Bei „Familienfreundliche Arbeitgeber“ erzählen wir dir keine Geschichten. Wir sprechen mit echten Menschen über ihre Erfahrungen. Heute im Interview: Livia von Mitschke-Collande von Google.

Zwei Dinge: Beruf & Familie. Das sind die zentralen Bausteine in Livias Leben. Livia von Mitschke-Collande ist Industry Leader Retail bei Google und setzt sich dafür ein, dass Führungsjobs und Familienleben besser vereinbart werden können. »Insbesondere Mütter sind in Führungspositionen in Deutschland nach wie vor unterrepräsentiert«, kritisiert sie bei LinkedIn. »Nur drei von zehn Frauen in Führungspositionen haben Kinder. Bei Männern in Führungspositionen sind es acht von zehn.«

Livia sitzt mir gegenüber. Besser gesagt, ich blicke in ihr Gesicht auf meinem Laptop. Eine hochgewachsene Frau mit blondem Haar, welches sie, ganz Mama-Like, in einen Dutt gebunden hat. Sie lächelt mich an. Wir verstehen uns auf Anhieb. Ihre inspirierende und zielstrebige Art fällt mir schon gleich zu Beginn positiv auf. Als Mutter von drei Kindern – fünf, drei und zwei Jahre alt – und ehrgeizige Karrierefrau, hat sie schon viel erreicht. Seit Juni 2014 arbeitet sie bei Google. Zunächst als Industry Manager, ab 2018 dann als Industry Head im Retail. Im Mai 2023 stieg sie dann weiter zum Industry Leader im Retail auf. »Für mich hat sich, als ich ins Retail gewechselt bin, super viel verändert.« Livia erzählt, dass sie nun, um einiges mehr an Aufgaben zu bearbeiten habe.
»Das kennen wahrscheinlich viele, die ihren Job mal gewechselt haben. Es dauert, bis man mit allen neuen Aufgaben, sowie Art und Weisen des Arbeitens, vertraut ist.»

Bei Livia kommt dabei noch etwas anderes Neues hinzu – Führung. »Ich arbeite wirklich viel und will das auch. Ich schrei nach neuen Aufgaben!»
Warum das nicht mehr Mütter machen? Dieser Gedanke beschäftigt Livia schon länger. Doch es ist nicht leicht. Wie lange hält man schon so ein hohes Pensum aus? Denn wenn die Arbeit mehr wird, heißt das nicht, dass zu Hause plötzlich alles läuft. Im Gegenteil. Mehr Arbeit, bedeutet mehr Arbeit. Das belastet vor allem Frauen, da an ihnen (leider!) immer noch vieles im Haushalt hängt. Um sich Zeit zu sparen, erzählt Livia, kauft sie Lebensmittel gerne online ein. Das spart natürlich Zeit, ist auf der anderen Seite aber auch teuer. Das kann sich nicht jede Familie leisten. »Ich verstehe die Frauen, die sagen „das pack ich nicht gleichzeitig“.» Zu meiner Überraschung steckt Livia mir, dass sie sogar schon einmal einen Kindergeburtstag verpennt hat. Ich lache – „das könnte mir auch passieren“, erwidere ich.

Ich schaue Livia an. Sie spricht klar und mit einem Ausdruck völliger Leichtigkeit. Doch nichts, was sie tut, ist leicht. Auch wenn man dabei anmerken muss, dass sie Unterstützung bekommt. Sei es von den Großeltern oder der Kinderfrau, die mittags zwischen 13 und 14 Uhr kommt, und abends gegen 19 Uhr das Haus verlässt. Livia arbeitet drei Tage im Homeoffice und an zwei Tagen fährt sie ins Büro. Einmal im Jahr verreist sie mit der Familie und einmal mit ihren Freundinnen. Ihre Tage sind durchgetaktet – von morgens bis abends. Das müsse man wollen, sagt Livia. Sie fügt hinzu, dass sie sich oft mit ihrem Mann streite, wer das wichtigere Meeting habe – Stress im Karrierehimmel.

Livia übernimmt vieles aus ihrer Rolle als Mutter in ihren Beruf. Struktur und schnelles Arbeiten sind zwei Elternkompetenzen, die seitdem sie Mutter ist, deutlich ausgereifter und extremer präsent sind.
»Ich habe gelernt, flexibler zu sein. Nicht alles ist planbar. Als Konsequenz arbeite ich dafür deutlich ausdauernder. Keine vielen Pausen, sondern auch mal drei bis vier Stunden am Stück. Mir ist auch aufgefallen, wie wichtig es ist, sich To-Do’s zu setzen. Denn man muss damit rechnen, dass sich viele Aufgaben überwerfen, aber ohne klare Struktur geht nichts.»
Auch ihr Gefühl für Empathie und das Verständnis gegenüber anderen habe sich deutlich intensiviert, erzählt Livia mir.
»Man wächst einfach über sich hinaus. Auch emotional!»

Frauen in der Führung. Für dieses Thema brennt Livia. Wenn auch schwer, sei es nicht unmöglich als Frau an die Spitze zu kommen.
»Und das ist unglaublich wichtig. Mit nur Männern in Führungspositionen, ist schon mal eins klar – es herrscht keine Diversität. Das ist in der Tat fatal. Denn dann fehlen weibliche Rolemodels für die jüngere Generation, es fehlt der offene Dialog, es fehlt das Open Mindset und andere Narrative.»

Um dahinzukommen, brauche man jedoch keine Quote, so Livia, sondern mehr Sichtbarkeit. Die Sichtbarkeit einer jeden Einzelnen. In Teilzeit jedoch deutlich schwieriger, da dieses Modell häufig noch als Karrierebremse angesehen und belächelt wird – zu Unrecht. Neben Sichtbarkeit braucht es, erzählt Livia, mehr Mentorinnen an der Spitze, die neuen Anwärterinnen Sicherheit geben.
»Frauen zweifeln stark an sich. Das ist bei Männern anders. Die haben eine ganz andere Selbstsicherheit als wir Frauen.»

Livia weiß, was sie kann, aber auch was nicht. Ihrer Meinung nach sollten Frauen ihre Stärken viel klarer nach außen hin präsentieren. Auf LinkedIn schreibt sie dazu: »Wir müssen uns gegenseitig nach oben heben. Wenn sich nur die Männer für Frauenförderung einsetzen, und wir Frauen nicht gezielt Frauen fördern, wird es noch sehr lange dauern, bis die Führungsebene weiblicher wird.«

Was wir brauchen, sei ein Kulturwandel bzw. ein Mindset Change, so Livia. Immer noch würden Männer auf Spitzenpositionen gesetzt und Frauen auf Positionen mit geringerem Einfluss. Die stereotypischen Eigenschaften von Männern seien karrierefördernd und positiv, während kein Potential in empathischen und sozial kompetenten Führungskräften gesehen wird. Wenn wir einen Wandel wollen, sei genau jetzt Zeit zum Angriff.

Es ist mir ein Herzensanliegen, Sichtbarkeit und Zugänge von und für „Frauen in Tech“ voranzutreiben und die Rolle von Frauen in Führungspositionen zu stärken.
Daher setze ich mich leidenschaftlich für die Themen Female Voices in Tech sowie Leadership und Diversity ein, zu denen ich auch als Speakerin auftrete. Innerhalb von Google treibe ich dafür notwendige Entwicklungen in der Organisations- und Arbeitskultur voran, u.a. als aktive Sponsorin. Zudem bin ich Mit- Organisatorin des Netzwerks „Women in Retail“, das deutschlandweit Frauen verbindet und Führungspositionen im Handel innehält.

Ich habe in Italien und München Internationale Betriebswirtschaft und Finanzen studiert. Gemeinsam mit meinem Mann und unseren drei Kindern lebe ich im Münchner Umland.